Skip to main content

GUDRUN KEMSA – MOVE IN TIME

Kunsthalle Nexus, Saalfelden

Eröffnung: 13. September 2019

Dauer: 14.9.–26.10.2019

 
Text Einladungsfolder (Petra Noll-H.)

Motiv von Gudrun Kemsas Arbeiten ist die Stadt. Sie fotografiert in Metropolen in der ganzen Welt. In der Ausstellung gibt es Bilder aus Berlin, New York, Paris und Shanghai zu sehen. Die Protagonisten ihrer urbanen Farbfotografien und Videos sind die Großstädter, aus deren Alltagsleben sie Ausschnitte herausfiltert, wie bei den Arbeiten aus dem Werkkomplex „Urban Stage“(ausgestellt in der Galerie), die in New York/Manhattan bzw. Berlin entstanden sind, ohne dass die Städte vordergründig identifizierbar sind. Menschen stehen, sitzen, warten, reden, aber vor alle bewegen sie sich wie auf einer Bühne über Promenaden, Straßen und Boulevards, Plätze, vor Hochhäusern, Geschäften, Glasfassaden. Um Architekturfotografien im klass-ischen Sinn handelt es sich bei Kemsa nicht, dienen die Gebäude doch in erster Linie nur als Kulissen für das, was sich im Vordergrund abspielt. Auch dem Genre Straßenfotografie/ Street Photography“ ist sie, obwohl es sich um „Fotografien der Straße“ handelt, nicht zuzuordnen, denn das Hauptcharakteristikum der Street Photography ist das spontane Erfassen eines herausragenden, flüchtigen Moments des urbanen Alltags durch den/die Fotografin. Kemsa möchte dagegen in ihren Fotografien weder besondere Augenblicke ent-decken und erfassen, noch eine spezifische Stadtlandschaft und soziale Milieus, wie in der Reportage, darstellen. Auch erzählt sie keine konkreten Geschichten über Menschen oder porträtiert dieselben. Menschen sind somit nur Figuren in ihren Kompositionen. Ebenso wie die Street Photography aber sind ihre Bilder nicht inszeniert. Ihre Fotografien entstehen aus der Distanz – nach einer zeitintensiven, sorgsamen Suche nach dem perfekten Ort, Zeit-punkt, Licht und spannungsreichen Positionen der Passanten, die sich rasend schnell verändern.

Zeit und Bewegung sind die zentralen Themen ihrer Arbeit, denen sie alles unterordnet – nicht nur im Video, dem Medium der bewegten Bilder, sondern auch in der „starren“ Foto-grafie. Obwohl die Zeit – wie in allen fotografischen Bildern – in ihren Fotografien angehal-ten ist, und die Menschen in ihren Bewegungen eingefroren sind, wird dennoch Bewegung, Veränderung visualisiert. Das passiert u.a. durch die Arbeit mit dem Licht bzw. mit der Schattenbildung, einem Indikator für zeitliches Vergehen. Gudrun Kemsas Fotografie ist immer auch eine Auseinandersetzung mit der Fotografie an sich, deren Basis das Licht ist. Ihre Arbeiten verweisen auf die gestaltenden Fähigkeiten des Lichts. Die Fotografien haben zudem ein extrem langgestrecktes Panoramaformat. Sie wirken wie Bilder eines Films und ver-mitteln den Eindruck längerer Dauer. In der Präsentation mehrerer Bilder hintereinander, wie hier, wirken sie filmartig, es entsteht der Eindruck von Bewegung.

Mit einem ganz individuellen Blick für Komposition, Bildausschnitt und Perspektive kreiert Kemsa bestechend klare, äußerst ästhetische, undramatische Bilder von größtmöglicher visueller Ruhe, d.h. frei von der Hektik der Großstadt sowie von störenden Elementen wie z.B. parkenden Autos. Die Szenen, nur minimal digital nachbearbeitet, wirken distanziert, fremd und unwirklich; die Menschen anonym und austauschbar. Kemsa stellt die Frage danach, was denn Wirklichkeit ist und welche Rolle dabei die Fotografie spielt.

Die Fotoserie „Choreographies“ (Hauptraum) besteht  aus Fotografien von je ca. zwei Metern Breite. Sie wurden von einer un-teren Stufe einer großen Treppenanlage im Hochhausviertel La Défense in Paris, Europas größter Businessstadt, entstanden. Aber es gibt keinen Hinweis auf den Ort. Im Titel wird deutlich, dass Kemsa wenig dem Zufall überlassen hat. Die Menschen bewegen sich allein oder in kleinen Gruppen auf der Plattform der obersten Treppenstufe, die als schwarzer Balken, als Bühne, den unteren Bildrand bestimmt, bzw. gehen sie in manchen Bildern die erste Stufe hinauf oder hinunter, beschleunigen, bremsen. Die Bilder wurden von unten nach oben gegen den hellblauen Himmel fotografiert, sodass sich die Menschen frei von Architekturkulissen in einem „grenzenlosen“ Raum, in einem völligen Nirgendwo befinden, von dem sie sich extrem absetzen und eine fast skulpturale Präsenz bekommen.  

Kemsas Videoarbeiten sind eine konsequente Weiterentwicklung ihrer Fotografien. Mit dem Medium der bewegten Bilder ist es möglich, Zeit auf andere Weise sichtbar zu machen. Ty-pisch für ihre künstlerische Arbeit sind lange Kamerafahrten durch urbane Räume. Für die

Videoinstallation „Pudong“ (2013, Hauptraum) wurde von einem Boot aus auf dem Huang-pu River die Skyline von Pudong, dem modernen Finanz- und Wirtschaftszentrum von Shanghai gefilmt. Es wirkt, als sei die Architektur in Bewegung versetzt worden. Menschen sind nur klein in der Ferne zu sehen. Kemsa gelingt es, durch die langsame Kamerafahrt die verstreichende Zeit fühlbar zu machen und das hektische Sehen, wie es Touristen eigen ist, in ein bewusstes Wahrnehmen zu verwandeln. Hinterlegt ist das Video, mit einem zum Bild-rhythmus passenden Sound von Peter Thoma und Gabriel Denhoff, kombiniert mit Ori-ginalgeräuschen der gefilmten Umgebung, wie u.a. Stimmen von Menschen oder dem Glockengeläut des Zollhauses, das dem Londoner „Big Ben“ nachempfunden wurde. Das Video hat keinen dokumentarischen Charakter, der Fokus liegt auf der Darstellung der Atmosphäre und der bewussten Wahrnehmung. Die Betrachter bewegen sich im von der Künstlerin vorgegebenen Rhythmus. Ein visualisierter Fluss der Zeit.

Zudem ist die Zweikanal-Videoinstallation „Subway“ (Galerie) zu sehen. Es ist irritierend, wie Menschen auftauchen und wieder verschwinden. Grund ist, dass in der U-Bahnstation Penn Station in New York von einem Standpunkt aus ein Film entstanden ist, aus dem Se-quenzen entnommen und montiert wurden. Es ist immer der gleiche Film, aber zeitversetzt. Ein medial erschaffener Raum mit eigenem Zeit-Raum-Verhältnis, und wieder: Move in Time!


 

 
Bildunterschriften

linke Spalte:

01_"60th_Street 2", aus der Serie "Manhattan Stage", 2016, Fine Art Pigment-Print, 45 x 90 cm

02_"Schiffbauerdamm 2", aus der Serie "Urban Stage Berlin", 2009, Fine Art Pigment-Print, 45 x 90 cm

03_"Madison Avenue 2", aus der Serie "Manhattan Stage", 2016, Fine Art Pigment-Print, 45 x 90 cm

04_Ausstellungsansicht Galerie, Foto: Gudrun Kemsa

05_"Subway", 2015, Zweikanal-Videoinstallation, Ton, 2:46 Min.

rechte Spalte:

06 / 07_ Ausstellungsansichten, Projektion: "Pudong", 2013, 1 Kanal-Video, HD, 15:30 Min., Sound: Peter Thoma, Gabriel Denhoff. Fotos: Gudrun Kemsa

08–10: Ausstellungsansichten: Arbeiten aus der Serie "Choreographies", 2005, C-Prints, je 84 x 198 cm.

Fotos: Gudrun Kemsa