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Ulrike Lienbacher – Bricolage

Kunsthalle Nexus, Saalfelden
Eröffnung: 28.November 2015
Dauer: 29.11.2014 - 17.1.2015
Vernissagenrede am 28.11.2014, Petra Noll:

Bereits seit vielen Jahren befasst sich Ulrike Lienbacher medienübergreifend mit dem menschlichen, meist weiblichen Körper, an dem sich in Gebärden und Haltungen gesellschaftlich geprägte Vorstellungen von Disziplin, Leistung, Ordnung, Sauberkeit und Sexualität abzeichnen. Sie thematisiert die Gradwanderung des Individuums und speziell der Frau zwischen dem Versuch, den gesellschaftlichen Vorstellungen gerecht zu werden und dem gleichzeitigen Streben, dieser Abhängigkeit zu entkommen. Dieser ambivalente Zustand ist begleitet von Ängsten – vor Kontrollverlust und Versagen, aber auch vor dem eigenen Begehren nach dem Freien, Wilden, nicht von der Gesellschaft Sanktionierten. Dieses Ausstellungsprojekt mit Skulpturen, Zeichnungen, Foto- und Videoarbeiten steht unter dem Titel „Bricolage“. Das französische Wort heißt wörtlich übersetzt Bastelei, Heimwerkerei. In der Jugendkultur bezeichnet „Bricolage“ – auch unter „Sampling“ bekannt – die Technik, Gegenstände in einen neuen Kontext zu stellen. Hier ist der Begriff im letzteren Sinn zu verstehen. Ulrike Lienbacher hat die Ausstellung aus neuen und veränderten sowie Arbeiten der letzten Jahre zusammengestellt.

 Von der 2001 entstandenen, ursprünglich im Offset-druck hergestellten Serie „Pin-Up-Übungen“ wurden einige Motive ausgewählt und als Pigmentdrucke auf Baryt lebensgroß geprintet. Die Fotografien zeigen kopflose und damit entindividualisierte Frauen und Männer in alltäglicher Kleidung. Sie stellen Pin-Up-Posen aus einem Übungsbuch der 1930er-Jahre nach. Positioniert vor neutralem Hintergrund, kommen die Körper überaus plastisch zur Geltung, bekommen einen skulpturalen Charakter. Die Pin-Up-Übungen wirken verkrampft-maniriert, denn die vorgegebenen Buch-Vorlagen verlangten zum Teil akrobatische Leistungen. Mit einem Lächeln betrachten wir diese angestrengten Bemühungen. Sind wir doch alle diesen oder ähnlichen Disziplinierungsmechanismen unterworfen. Durch die für die Ausstellung vorgenommene Neubearbeitung und Vergrößerung der Serie wird ein Aspekt deutlicher in den Fokus genommen: Neben der Disziplinierung geht es sehr stark um den verführerischen Moment des Gesehenwerdens, das Bemühen um Anerkennung durch den Blick von außen. Es geht um das „Sich-Präsentieren“, das „Gefallen-Wollen“, ja die Sucht nach Aufmerksamkeit. Damit greift Lienbacher ein aktuelles und äußerst brisantes Thema auf: Sie deutet auf die heutige „Castinggesellschaft“ hin, auf die Sozialen Netzwerke, die die möglichst perfekte Selbstdarstellung, Leistungsfähigkeit und Identitätsdefinition einfordern. Persönliches wird rigoros öffentlich gemacht. Jeder steht mit jedem in einer Wettbewerbs- und Konkurrenzsituation. Dazugehören ist alles. 

In ihren skulpturalen Arbeiten geht Ulrike Lienbacher vom Alltagsgegenstand aus, der transformiert und aufgeladen wird. Bei der Arbeit „Modelle“ handelt es sich um ornamental und perfekt in Holz gedrechselte und mit Acryl in Gold und Silber bemalte drei Meter lange „Säulen“. So wie sie in der Ausstellung platziert sind, lassen sie an Architektur- oder Möbelelemente, aber auch an sportliche Gerätschaften wie Turnstangen usw. denken. Ebenso wie die Pin-Ups sprechen sie aufgrund der präzisen, regelmäßigen Form sowohl von Diszipliniertheit als auch von Verkünstelung. Bei den auf Tischen präsentierten Skulpturen handelt es sich um originale Nippes-Zierfiguren von Tänzerinnen und Pferden bekannter Porzellan-Manufakturen. Als verniedlichende Deko-Elemente für das private Zuhause erfüllen sie die Sehnsucht nach einer heilen, schönen Welt. Diese Idylle bricht Ulrike Lienbacher durch ihre Weiterverarbeitung und Neuinterpretation. Die Beine der Figürchen wurden jeweils in einen Betonsockel eingelassen, so dass beide miteinander verschmelzen. Dies wird durch die jeweils einheitliche Farbe, mit der Sockel und Figur vom Autolackierer überzogen wurden, verstärkt. Diese Arbeiten formulieren die Diskrepanz zwischen freier und artifizieller bzw. eintrainierter Bewegung, zwischen Ausbruch und Gefangensein. Die Figuren haben Namen und bekommen dadurch etwas Persönliches, das die einstudierten Bewegungen wieder aufbricht. Die verführerisch glänzende, blanke und spiegelnde Oberfläche provoziert den begehrlichen Blick; der Bruch liegt im Versinken der Beine im Sockel, wodurch der Fluss der Bewegung und die Makellosigkeit gestoppt wird, und zugleich in der massenproduzierten, industriellen Fertigung der Objekte.

 Ein zentrales Medium von Ulrike Lienbacher ist die Zeichnung. Ebenso wie den Fotos – und im Gegensatz zu den Porzellanskulpturen, die bewusst eine Waren- und Konsumästhetik aufgreifen und damit direkter und „lauter“ nach außen wirken – liegt den Zeichnungene ein verhaltenerer Ansatz zugrunde. Mit präzise ausgeführten, teilweise aber auf Umrisse beschränkten Linien zeigt Lienbacher nackte oder leicht bekleidete, meist weibliche Figuren bei alltäglichen Tätigkeiten wie Gymnastik und Körperpflege – Rituale, die täglich fast zwanghaft immer wieder aufs Neue durchgeführt werden, um Mängel auszumerzen und ein vorbestimmtes Idealbild des Körpers zu erreichen. Wie die fotografierten Modelle befinden sich auch die gezeichneten in einem undefinierten Raum. Die fragil wirkenden Frauen sind häufig fragmentarisch dargestellt, von hinten oder abgewandt zu sehen. Gesichter und damit Individualität spielen keine Rolle, sie sind dem Schönheitsideal geopfert. Braune Flecken auf einem getuschten Blatt weisen auf den größten Feind von Sauberkeit und Ordnung: Schmutz. Schmutz als Zeichen für Schwäche und Sich-Gehen-Lassen. Die Darstellung von Haaren bzw. Frisuren spielt bei Ulrike Lienbacher stets eine große Rolle. Perfekt gestylt, streng gekämmt oder kunstvoll geflochten, stehen sie für Perfektion, traditionelle Wertvorstellungen und ein stereotypes Frauenbild. Aufgelöst und wild um den Kopf fliegend, signalisieren sie einerseits Kontrollverlust, andererseits aber auch Freiheit, Lust und Erotik. In ihren Zeichnungen geht es Ulrike Lienbacher aber nicht nur um die inhaltliche Auseinandersetzung, sondern auch um die Qualität der Linie, um den Fluss und die Rhythmik der teils frei geführten, teils akribisch ausgearbeiteten Linie. Immer wieder finden sich abstrakte Zeichnungen unter ihren Arbeiten, die sich ganz dem Schwung der Linien widmen. Hier sind z.B. 21 Arbeiten einer Serie im Block präsentiert. Durch das serielle Arbeiten kommt hier sehr stark der Aspekt des Übens hinein. – Die Serie „Hysteria“, bestehend aus Tuschezeichnungen von Händen auf farbigen Hintergründen, zeigt manirierte und gleichsam grazile Handbewegungen, die, um zu wirken, zwingend ein Gegenüber brauchen.

In der Galerie wird die Videoarbeit „Lauf“ präsentiert. Hier drehen die Zwillingsschwestern Sarah und Julia auf einem Sportplatz ihre Runden. Sport bedeutet Leistung, Disziplin, Kontrolle und Konkurrenz. Bedingt durch die visuelle Ähnlichkeit und den meist gleichmäßigen, synchronen Laufstil der Zwillinge kommt ein weiterer Aspekt hinzu. Es wird sehr stark das Gefühl vermittelt, als laufe jede Person in erster Linie gegen sich selbst und ihre Ängste und Zwänge an. Hier geht es um Selbstwahrnehmung und Identität (sverlust). Daneben sind gibt fünf Fotoarbeiten der Zwillingsschwestern im Halbkörperporträt präsentiert. Still, fast teilnahmslos blicken sie den Betrachter an, gering sind die Verschiebungen der Haltungen und Gesichtsausdrücke auf den Fotos. Hier stehen sie in ihrer Natürlichkeit, nicht mehr im Wettkampf, nicht perfekt, nicht angespannt. Das Verhältnis der Schwestern zueinander sowie das Austaktieren der eigenen Persönlichkeit stehen im Vordergrund. Die Ausstellung präsentiert einen kleinen, aber repräsentativen Teil des Kosmos’ von Ulrike Lienbacher. Zahlreiche Verknüpfungen sind möglich. Grundsätzlich sind ihre Arbeiten formal und inhaltlich bestimmt von Brüchen – Brüche, die auch unser Leben bestimmen. Poetisch und analytisch zugleich, emotional und gleichzeitig fast wissen-schaftlich, subtil und auch „laut“ untersucht sie das Thema Körper in all seinen Facetten.

 
 
1) Marie, 2014, 71×14,5×14,5 cm, Autolack, Porzellan, Acrystal, Beton
2) o.T., 2011, Tusche, 143×164,5 cm
3) o.T., 2013, Tusche, Acryl, 47×39,5 cm
4) Pin-Up-Übungen, 2001/2014, Pigmentdruck auf Fine Art Fotopapier, 101×84 cm
5) Lauf, 2010, HD Video, 20’
6) o.T., 2014, Acryl, 50×41 cm
7) aus der Serie: Hysteria, 2014, Tusche, Acryl, 52×40 cm
8) Restliche Fotos: Ausstelllungsansichten (Fotos: Rainer Iglar)