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INTERVALLE

MICHAEL MICHLMAYR & KATHARINA KLEMENT

AUSSTELLUNG & MUSIKPERFORMANCE & ARTIST TALK

Eröffnung: Mittwoch, 16. Oktober 2024, 19.00 Uhr

Einführende Worte: Petra Noll-Hammerstiel, Kuratorin

Musikperformance: Katharina Klement, Zither und Elektronik

Artist Talk: Von Intervall zu IntervallKatharina Klement, Michael Michlmayr und Petra Noll-Hammerstiel im Gespräch: Mittwoch, 6. November, 18:00 Uhr  

Ort: Korridor – Raum für aktuelle Kunst, Hertha-Firnberg-Straße 10, 1100 Wien

Dauer/Öffnungszeiten: 17.10.–16.11.2024, Do–Sa, 16–19 Uhr u. n. V.

Am Feiertag, Sa 26. Oktober, geöffnet!!

Am Fr., 1. November geschlossen!

Gefördert von: BMKOES, Wien

Rede zur Vernissage (Petra Noll-H.) am 16. Oktober:

Diese Ausstellung mit dem Titel „Intervalle“ verbindet das Werk des Künstlers Michael Michlmayr, Fotos und Videos, und der Komponistin und Musikerin Katharina Klement, Elektronik und Zither.

Intervall (lat. intervallum) bedeutet Zwischenzeit, Unterbrechung, Abstand zwischen zwei Punkten. Intervalle sind offene unbestimmte Räume, Übergangszonen, Passagen, Korridore, durch die man von einem zeitlichen Zustand bzw. einer räumlichen Situation in eine andere wechselt. Spielfelder, Orte für (künstlerische) Fantasien, kreative Räume. Und dabei sind wir schon ganz dicht an der Kunst von Michael Michlmayr. In seinen Arbeiten – er zeigt Bilder und bewegte Bilder aus zahlreichen Werkkomplexen mit einigen neuen Werken – geht es schon lange um Zeit und Raum – nicht nur wichtige Kategorien unserer Wahrnehmung und Realitätseinschätzung, sondern auch relevantes Thema der Fotografie.

Zeit nehmen wir meist wahr an der Entwicklung und Veränderung bzw. Bewegung von Dingen und Ereignissen. Das ist die Dingzeit – im Gegensatz zum emotionalen Zeitgefühl. Diese Veränderungen begründen den Eindruck einer Richtung der Zeit. Aristoteles hatte die Auffassung, dass sich Zeit in unendlich viele Zeitintervalle einteilen lässt. Damit vertrat er die Vorstellung eines Kontinuums von Raum und Zeit. Der Mensch führte Zeitmessgeräte ein, um sich eine Ordnung zu schaffen.

MICHAEL MICHLMAYR: Diese Zeit-Raum-Ordnungen wirft Michael Michlmayr durcheinander, er stört, verschiebt die Zeitlinie, greift erheblich in die Bilder ein. Das geschieht nicht aus einer wissenschaftlichen Beweisführung heraus, sondern aus dem Empfinden, wie relativ, inhomogen und nicht linear Zeit ist, wie austauschbar Dinge, Abläufe und Personen sind, wie vielschichtig die Realität und deren Darstellung, wie undurchsichtig der Wahrheitsgehalt der Bilder ist.

Fotografien: Meist steht er an einem Ort mit einer fix montierten Kamera und beobachtet alltägliche Er-eignisse und ablaufende Handlungen im urbanen Raum, Verschiebebahnhöfen, Straßen, Plätzen, in Flugzeugen oder in der Natur. Die Motive sind nicht inszeniert. Er fotografiert zeitversetzt in kürzeren oder längeren Intervallen und gibt damit einen subjektiven Rhythmus vor. Ein Moment des Innehaltens, der Reflexion, die Erfahrung von Zeit. Zeitlosigkeit. Die Einzelbilder werden danach nahtlos zu einem Fototableau montiert. Oder die Fotos sind Stills aus einem ebenso in Sequenzen zerlegten Videofilm. Durch die Parallelschaltung verschiedener Raum- und Zeitebenen in einem Bild wird Gleichzeitigkeit von Ereignissen und Handlungen suggeriert.

Die künstlerischen Eingriffe in das Bild sind variantenreich: So geschehen Veränderungen durch Vervielfältigung und Aneinandersetzung des gleichen Motivs, wie zum Beispiel bei dem Wurm (Mutation). Grüngasse #1 besteht aus montierten Fotos von mehreren Spaziergängen: Zu sehen sind die Schatten eines Baumes zu verschiedenen Zeiten in einem Bild. Swarm – eine Kombination von Flugzeugen und Insekten, wie es sie so nie geben kann – ist das Resultat der Schichtung von Einzelbildern.

In Planescape, sieht man durch im gleichen Flugzeug befindliche Fenster die Sonne fälschlicherweise immer anders, Resultat einer filmischen Zeitdehnung. Le Phantome du Passé (Videostill) zeigt komprimiert, wie vier Sekunden lang der steinerne Rest einer Bunkeranlage aus dem II. Weltkrieg an der Westküste von Frankreich von Wellen umspült wird und dabei unter dem Wasser verschwindet bzw. wieder auftaucht, wobei jedes Stadium der Umspülung/ Bewegung im Bild ablesbar ist. Dadurch, dass es ebenso von links nach rechts wie auch von oben nach unten lesbar ist, wird das Motiv abstrahiert und die Verdichtung von Zeit und Raum ein weiteres Mal unterstrichen. Bus Stop ist ein Still aus einem Video, in dem die Zeit angehalten wurde und der Bus dadurch, dass er als einziger der Fahrzeuge anhielt, in eine unfassbare Länge gedehnt wurde. In seinen Sonnenbildern geht es Michael Michlmayr darum, Zeitverlauf und Raumgefühl durch Licht darzustellen. In dem Projekt Die Sonne vor meinem Fenster hat er mit extremer Langzeitbelichtung über viele Tage jeweils 24 Stunden lang die Landschaft vor seinem Fenster fotografiert und die „Sonnenbahn“ mit ihrer sich ändernden Position, Intensität und Lichtqualität während dieser Zeit abgebildet. Während der Fotograf ­bzw. die Kamera immer am gleichen Standort im Atelier blieb, war die Außenwelt ständig in Bewegung. Das Foto Réferénce zeigt die Überlagerung der Sonnenlichtbahnen, eine Komprimierung des Zeitverlaufs von 36 Tagen. Das SW-Bild, das farbliche Werte zeigt sowie die durch intensives Sonnenlicht entstandene Verletzung des Negativs sichtbar macht, vermittelt die Stimmung von Poesie und Zeitlosigkeit bzw. Überzeitlichkeit. Die Sonne – 20 Tage zeigt nur Sonnentage. Die Sonne – Tag 28 #2 ist ein Tag daraus.

Videos: Auf vier Monitoren sind jeweils mehrere geloopte Kurzvideos zu sehen, die teilweise inhaltlich und visuell mit den ausgestellten Fotos korrespondieren. Technisch wird auch hier die lineare Zeitleiste zerlegt. Die Zeit wird gedehnt oder gerafft. Diese Schnitte sind visuell einem Notensystem nicht unähnlich. Oder die Zeitrichtung wird verändert: So kann sich ein Eiswürfel nachdem er geschmolzen ist, wieder aufbauen (Re-Conversion).

In Théatro oder Passage rurales tauchen Menschen bzw. Kühe auf, gehen voran, bleiben stehen, verschwinden in merkwürdigen Zeit-Raum-Konstellationen. Dies wird erreicht durch eine ästhetisch-künstlerische Schnitttechnik. Der Gewinn ist ein neues Verständnis von Raum und Zeit. Oder eine Situation wird vervielfacht, wie bei Blue Sky.

Durch den Einsatz von Ton – entweder der Originalton der Situation – wie etwa Flugzeuge – oder z.B. ein Metronom werden die Stimmungen noch verstärkt.

Das Video Revisiting the past (die Vergangenheit überdenken) ist die Beschäftigung des Künstlers mit seinem persönlichen Bildarchiv zwischen 1981–2000. Eine Auswahl von Negativstreifen daraus hat er kurz in die Hände genommen, umgedreht, betrachtet und diesen Akt abfotografiert und zu einem Film zusammengefügt. Vieles ist fragmentarisch, Inhalte oft unklar durch den rasanten Durchlauf des Films, das nur flashartige Aufblitzen der Fotos, die Verwendung transparenter Negativstreifen, die Überblendung und Drehung der Streifen. Es wird der Akt des Betrachtens thematisiert. Im Hintergrund klickt in regelmäßigen Abständen die Kamera, wodurch der Akt des analogen Fotografierens und damit das direkte Involviertsein betont wird. Der lineare zeitliche Ablauf des Mediums Video wird gebrochen.

Partitur#6, ein Foto mit Stromkabeln wie Notenlinien und einem Kabel wie ein Notenschlüssel, ist sozusagen das Logofoto der Ausstellung; es verbindet bildende Kunst und Musik.

KATHARINA KLEMENT, Konzert zur Vernissage am 16.10.:

Die Komponistin und Musikerin hat mit Zither und Elektronik performt. Dabei hat sie sich dem Thema „Intervall“ auf mehreren Ebenen angenähert. Sie hat überwiegend mit Wiederholungen, Varianten in der Schleifenbildung, aperiodischen und periodischen Zyklen, mehreren Geschwindigkeiten gleichzeitig, Schnitt und Verdichtung gearbeitet. „Intervall“ wurde sowohl zeitlich als auch spektral untersucht und ausgespielt, den bildlichen Darstellungen von Michael Michlmayr gegenübergestellt.

Die Aufführung war in sechs Teile gegliedert, die ineinander übergegangen sind. Instrumental und synthetisch erzeugte Klänge verbanden sich mit konkreten Klängen (Field recordings).

Im ersten Teil wurden die Verhältnisse von zeitlichen Intervallen bzw. Proportionen als rhythmische, perkussive Muster hörbar.

Im zweiten Teil erklangen die klanglichen Intervalle Prim und Oktav bei gleichzeitiger Akkumulation von ähnlichen, fast identen Klangereignissen. Diese wurden im Live-elektronischen Speicher eines Loopers eingefangen und geschichtet.

In Teil 3 wurden Klangereignisse in einer vorgegebenen Reihenfolge auf- und wieder abgebaut.

In Teil 4 waren ab- und aufsteigende Linien, sogenannte Glissandi, kontinuierliche Verstimmungen, das Thema.

Im fünften Teil ging Klang in Rauschen über und vice versa. Unter anderem wurde Klang von schmelzendem Eis verwendet – inspiriert von einem Video von Michael Michlmayr.

Im Teil 6 war das musikalische Motiv ein sich wiederholendes Muster von bestimmten Basstönen, ähnlich einer „Passacaglia“ (spanischer Volkstanz, kontinuierliche Variation im ¾ -Takt). Mittels eines kleinen Körperschallwandlers, der direkt auf die Saiten der Zither gelegt wurde, wurde dieses Motiv wieder zurück ins Instrument gespie(ge)lt. Es baute sich eine sogenannte Rückkoppelung (oder Feedback)  auf – klanglich war dies als ein mehr oder weniger hohes Pfeifen zu hören.

Fotos:

1–11: Ausstellungsansichten, Fotos: Michael Michlmayr

12–14: Musikperformance Katharina Klement am 16.10.