Anna Meyer zeigt Ölbilder auf Leinwand, auf Tischchen präsentierte Objekte und Materialien sowie eine Malerei-Installation in der Galerie. Mit ihren Arbeiten von Stadtlandschaften reflektiert sie den Zustand der Gesellschaft, nimmt kritisch Stellung zu aktuellen gesellschaftlichen Phänomenen wie Globalisierung, Kapitalismus, Klimawandel, Konsum, politische Machtausübung, soziale Prekarität und traditionelle Rollenverteilung. Ihr Untersuchungsgegenstand, die Stadt in der heutigen sogenannten postfaktischen Zeit, ist ein Ort, von dem permanent innovative Impulse ausgehen, wo aber auch gleichzeitig die negativen Auswirkungen der kapitalistisch orientierten Entertainment- und Konsum-kultur verstärkt deutlich werden.
Trotz ihrer düsteren Gegenwartsanalyse sind ihre figurativen Bilder in schrill-buntem Kolorit angelegt, bewusst auf die leuchtenden allgegenwärtigen Bildschirmbilder Bezug nehmend. Sie geht von realen Gegebenheiten aus, ist aber weit entfernt vom realitätsgetreuen Abbilden. Bei Spaziergängen durch Städte, sehr oft auch in ihrem privaten Umfeld, hält sie Situationen in Fotos und Skizzen fest. Daraus kreiert sie surreale Stimmungen und hyperrealistische Situationen, mit denen es ihr gelingt, die herrschende Stimmung der Beunruhigung sowie die Entfremdung des Menschen von der Welt zu fassen, eine Welt, die durch das Aufeinanderprallen von unterschiedlichsten, oft extremen Wertesystemen gespalten ist wie selten. Verstärkt wird dieses Gefühl durch die Darstellung von abweisenden Stadtarchitekturen wie Repräsentationsbauten, Fastfood-Tempeln, Werbescreens und Datentürmen.
In dieser Ausstellung setzt sie den Fokus auf neue Arbeiten zum Thema Digitalisierung und Vernetzung, worauf der Titel „Kritik der digitalen Un Vernunft“ verweist. Sich der Vorteile der Digitalisierung und deren vernünftiger Nutzung bewusst, spricht Anna Meyer aber vor allem Probleme an wie mög-lichen Realitäts- und Identitätsverlust, Abhängigkeit, Sprachreduktion, Einsamkeit, Kontrolle oder den Missbrauch des Internets als Waffe gegen den politischen Gegner. Bilder zum Thema zeigen Menschen mit blasenähnlichen Köpfen, die wie ferngesteuert und orientierungslos durch Städte laufen; Menschenmassen, die ihre eigenen verzerrten Datenprofile fotografieren, die wiederum Konzerne im großen Stil speichern und weiterverwenden. Aufgerissene Böden, schrill-blutrote, aufgewühlte Him-mel, brennende Büsche, Bäume und Tiere, lodernde Flammen, die nicht nur auf den digitalen, sondern auch auf ökologischen und politischen Missbrauch verweisen. Es ist Feuer im Paradies, so der Titel einer Arbeit. Die Technikgläubigkeit bringt einen Zwiespalt zwischen analogem und digitalem Leben mit sich. Was real ist und was Schein ist strittiger denn je. Und dennoch gibt es immer wieder die Sehnsucht nach Hoffnung: Aus aufgerissenen Böden („Kritik der digitalen Un Vernunft“) kommen Menschen, Vertreter einer Politik von unten, wie geschrieben steht, Menschen, die sich wehren, indem sie selbst aktiv werden, sich solidarisieren, mobilisieren, protestieren. Der Titel der Ausstellung „Kritik der digitalen Un Vernunft“ nimmt auch Bezug auf Immanuel Kants „Kritik der reinen Vernunft“. Die Zeit ist gekommen für eine erneute Aufklärung im digitalen Zeitalter.
Neben den Bildern zum Thema Digitalisierung zeigt Anna Meyer weitere Bilder mit aktuellem politischen und sozialen Inhalt. Dazu gehört das neue zweiteilige Bild „B-Girls“. Es zeigt eine übergroße Baseballkappe über einer riesigen Matte im öffentlichen Raum beim Hauptbahnhof Wien und zitiert damit eine dort realisierte Installation der slowenischen Künstlerin Meruša Sagadin (*1978) für im urbanen Raum unterrepräsentierte weibliche Jugendliche, die sich diesen Ort aneignen können. „B-Girls, Go!“ steht für Breakdance-Tänzerinnen.
Häufig finden sich in Meyers Arbeiten Symbole, wie Logos aus den Medien – z.B. für Liken, Facebook oder Twitter – oder auch selbst erfundene oder den sozialen Netzwerken bzw. dem urbanen Sprachgebrauch entnommene Schlagwörter. Immer wieder sind sie auch mit politischen Statements versehen, die ihre eigene Betroffenheit zeigen. Die Wörter illustrieren, kommentieren die Bilder, bleiben oft auch uneindeutig; vor allem aber stimulieren sie dazu, dass man sich selbst Gedanken macht. Da taucht das vor zwei Jahren im Netz herumgeisternde „Twitler“ auf, das eine Verbindung von Trump, Hitler und Twitter herstellt. Zwei zusammengehörige Bilder tragen den von Meyer selbsterfundenen Titel „Hopesters“, der Begriff ist analog zum Hipster entstanden. Was kommt nach den Hipstern, fragt Anna Meyer – vielleicht die Hopesters? Sind sie das Gegenmodell zu wieder erstarkten populistischen Tendenzen, also Menschen, die sich wehren, aber zwiespältig in dieser widersprüchlichen Zeit gefangen sind, wie die im hochformatigen Bild abgebildeten – linken und rechten – Gelbwesten? In jedem Fall steckt hier „Hope“ in dem Wort. Immer wieder die Hoffnung, dass alles wieder besser wird, wie auch in dem Bild „Dr. Death“, hier steht im Hintergrund eine große dunkle Masse von Demonstranten: „Waiting for the train – of hope?“ wird gefragt. Von 2011 ist der Werkzyklus „Paint to Politain“, aus dem einige Bilder gezeigt werden, die bereits Ereignisse des Heute vorwegnehmen. Dem Titel liegt der Begriff des „Politainment“ zugrunde, eine Verbindung von Politk und Entertainment, ein Hinweis darauf, wie in der Postdemokratie versucht wird, die Politik zu entpolitisieren und – das gilt auch für die Kunst – immer mehr auf Entertainment und Konsum auszurichten. So setzt Meyer sehr sarkastisch eine Sprechblase mit der Aussage „Culture is the Soul of Society“ auf ein Bild mit einem riesigen Werbeplakat mit Frauenkörper – eine Kritik an Eventkultur und Werbung, und auch den Satz „Corruption destroys society and democracy“, der sich auf die prekäre vordemokratische Situation von Belgrad bezieht, die auch den Postdemokratien zahlreicher Staaten ähnelt: die Schere zwischen Arm und Reich, Korruption, Einfluss von Eliten, Lobbyismus, Verluste der demokratischen Parteien, Konsum, Kontrolle, Angriff auf Meinungsfreiheit. Auf dem Bild „Die Konturen einer Gesellschaft“ ist der Busbahnhof von Belgrad zu sehen mit auffällig viel Militär, was, wie auch der Teilsatz im Bild „Die (Gesellschaft) über einen Abgrund stürzte“ auf die mangelnde Freiheit im Land verweist. Architekturmodelle Den Bildern stellt Meyer dreidimensionale Architekturmodelle auf Tischen gegenüber. Bereits seit vielen Jahren entstehen diese parallel zu den Bildern und beziehen sich meist inhaltlich auf diese. Die Modelle ermöglichen es, die Malerei ins Dreidimensionale zu erweitern und damit die Malerei begehbar zu machen. Die Tischarrangements sind in bunter Trash-Ästhetik gebaute urbane Miniwelten. Widerspenstig, mit viel Humor, spielerisch und dennoch kritisch kombiniert Anna Meyer so kontroverse Materialien wie für den Müll bestimmte Alltagsdinge, ausrangierte technische Geräte, bemalte Leinwandfetzen sowie Luxusgegenstände, die sie malerisch und textlich überarbeitet. Den kleinen Welten ist der Zerfall eingeschrieben; sie sind bewusst chaotisch inszeniert, das wühlt mehr auf. Wie den Bildern wohnt ihnen Bedrohung inne, wie z.B. in dem Modell „Re-Start“ steht der Satz „Wir haben Angst, aber keine Zeit dazu“ – ein bedrohliches Szenario! Im Modell „Postfaktivist_Innen ist ein Video integriert; es zeigt die Künstlerin im Facebook-Gewand bei einer Performance vor einer Galerie in Tirana, Texte mit Wasser auf die Straße schreibend. Dies wurde mit einem zum Thema passenden Song der Band „Family Five“ von Peter Hein verbunden. – In manchen von Anna Meyers Arbeiten ist ihr Selbstporträt integriert. Dies verweist auf eine Chance zur Veränderung durch Eigeninitative und individuelles Aufbegehren, durch das Entwickeln einer eigenen Identität, aber auch durch das Suchen nach Gemeinschaftlichkeit bzw. multiplen Zugängen und Wahrheiten.
Hier ist eine weitere räumliche Malerei-Ebene zu sehen. Auf Plexiglas gemalte Ölbilder hängen von der Decke gestaffelt im Raum, bieten ungewöhnliche Durchsichten – ein Labyrinth aus „Bildschirmen“, durch das man sich bewegt – wie im täglichen Leben, nur greifbarer. Dargestellt sind urbane Landschaften, die die Themen der Ölbilder und Modelle aufgreifen, sowie Porträts von Menschen in ihrem sozialen Umfeld. Diese spielen auf die Profilbilder bzw. Freundschaftsbilder in sozialen Netzwerken an, sind sozusagen ein analoges Facebook, die die Gefühle, Gedanken und Tätigkeiten der Menschen wieder greifbarer macht.
Biografie Anna Meyer:
*1964 in Schaffhausen (CH), lebt in Wien (AT). Ausstellungen und Projekte (Auswahl der letzten 5 Jahre): 2018 Glaube, Liebe Hoffnung, Kultum Minoriten/ Kunsthaus Graz. Auf ins Ungewisse, Kunsthaus Graz (Kuratorin: Barbara Steiner). Der Wert der Freiheit, Belvedere 21, Wien (Kurator: Severin Duenser). Haus Tiere Menschen, Galerie Krobath, Wien. Rechts, Haus am Lützowplatz, Berlin (Kurator: Raimar Stange). (Re)Connected to the Public Sphere, Zeta Galerie, Tirana (AL). 2017 Digitale Wesen befahlen, Galerie Mera, Schaffhausen (Solo). Weiche Profile, Kunstraum Weikendorf, Kunst im öffentlichen Raum Niederösterreich (Solo). Sammlung, Museum Kunstpalast, Düsseldorf. Curated by, Galerie Krobath, Wien (Kuratoren: Gunter Reski, Hans Jürgen Hafner). 2016 Stupid Painting, Stop your Sobbing, Kluckyland – Temporärer Ausstellungs- und Projektraum, Wien (Solo). 5th Litomyšl Symposium/Ausstellung, Galerie Miroslav Kubík, Litomyšl (CZ). 2015 Sein oder Online, Galerie Krobath, Berlin (Solo). Das Anliegen, Jahresausstellung Salzburger Kunstverein (Kurator: Severin Dünser). Wanderlust, Galerie Amrey Heine, Stuttgart. Aktivismus und Kunst, Galerie 3, Klagenfurt. Macht/Gewinn, Kunstverein Montafon (AT). 2014 Die andere Sicht, Museum Essl, Klosterneuburg/ Wien. www.annameyer.at
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