Zum Hauptinhalt springen

Hans Kupelwieser – Überformen

Kunsthalle Nexus, Saalfelden

Eröffnung: 15. Mai 2015

Dauer: 16.5.–11.7. und 27.–30.8.2015 während des Internationalen Jazzfestivals Saalfelden

Saaltext (Auszug aus Rede) zur Ausstellung am 15.5.2015, Petra Noll:

Hans Kupelwieser, 1948 in Lunz geboren und hier sowie in Wien lebend, gehört zu den wichtigsten Konzept- und Medienkünstlern in Österreich. Seine Arbeit ist bestimmt von der Verschränkung zahlreicher Medien, der Verwendung unkonventioneller Techniken und Materialien sowie von seinem reflexiven wie gleichzeitig spielerischen und experimentell-assoziativen Zugang. Grundsätzlich bewegt er sich im Grenzbereich zwischen Zwei- und Dreidimensionalität. Dies führt ihn in einer prozessualen Arbeitsweise zu Transformationen, Überschneidungen und Umkehrungen von Formen, Verfahren und Materialien und damit zu neuen Erscheinungen, Realitätsebenen und Bedeutungen. Deshalb wäre es auch zu wenig, ihn als Bildhauer und/oder Fotograf zu bezeichnen, wenngleich diese beiden Medien Ausgangspunkt seiner Arbeiten sind und sich gegenseitig bedingen. Seinen multiplen Denkansatz hat er bereits während seines Studiums (1976–1982) an der Universität für angewandte Kunst in Wien bei Bazon Brock und Peter Weibel entwickelt. Unter anderem ist für Kupelwiesers offenen Zugang bezeichnend, dass seine Fotogramme, Fotografien, Objekte und Skulpturen 1981 unter dem Begriff „Erweiterte Fotografie“ in der Wiener Secession sowie 2004 in einer großen Personale in der Neuen Galerie Graz unter der Bezeichnung „Postmediale Skulpturen“ präsentiert wurden. Postmedial meint nicht nur die Verknüpfung von neuen Medien und traditionellen Techniken zu neuen Formen und Inhalten, sondern auch eine Grenzüberschreitung von der freien zur angewandten Kunst, basierend auf einer Skepsis gegenüber starren Kategorisierungen und tradierten Systemen in der Kunst. In der Kunsthalle Nexus findet keine retrospektive Schau statt, sondern vielmehr eine Gegenüberstellung bzw. Verschränkung speziell ausgesuchter Arbeiten der letzten zehn Jahre sowie aktueller, in diesem Jahr geschaffener Werke wie beispielsweise die farbige Skulptur.Obwohl die von ihm verwendeten künstlerischen Medien für ihn gleichwertig sind, nimmt doch das Fotogramm eine Sonderstellung und verbindende Funktion ein; es begleitet ihn von Anfang an. Obwohl es sich um einen direkten Abdruck handelt, bietet das Fotogramm keine realistische Abbildung. Kupelwieser verwendet zudem gerne Dinge, die im Fotogramm sehr verfremdet erscheinen. Dies sind Erdäpfel, Erdnüsse, Spaghetti, Kabel, Möbelstücke oder auch Müll, Äste und Textilien wie auf den hier ausgestellten großformatigen Fotogrammen. Auch Stuhlbeine stellen sich im fotogrammatischen Bild sehr befremdlich, nämlich äußerst verkürzt dar, sie sind oft auf Punkte reduziert. Dinge bekommen eine ganz neue Erscheinung, Bedeutung und Wertigkeit, verlieren ihren funktionalen Charakter und werden zum autonomen künstlerischen Werk. Seit den 1980er-Jahren hat Kupelwieser unzählige Fotogramme, meist in Schwarz-Weiß, in unterschiedlich großen, häufig – wie hier – riesigen For-maten produziert. Das Fotogramm versteht sich per se als Medium zwischen Zwei- und Dreidimensionalität und eröffnet somit Fragestellungen zur Verbildlichung von Gegenständen. Aus einem Ding bzw. Objekt entsteht ein „flaches“ Bild, dieses kann dann auf unterschied-liche Weise wieder ins Objekthafte weiterentwickelt werden. Beispielsweise wurde bei dem Foto-Fotogramm eines Fahrrades (Foto-Fotogramm: ein noch einmal belichtetes Fotogramm, das den Gegenstand nun schwarz, den Hintergrund weiß erscheinen lässt) ganz einfach durch Zerknüllen ein Relief – das Fotogramm dient hier selbst als gestalterisches Material. Plastizität bekommt auch ein ursprünglich flaches Fotogramm von Stühlen auf einer Leinwand durch das Drapieren auf echten, unterschiedlich hohen Stühlen. Diese Arbeit changiert nicht nur zwischen Zwei- und Drei-Dimensionalität, sondern lotet auch den Grenzbereich zum Design aus. Diese beiden Faktoren treffen auch zu für Kupelwiesers bekannte Arbeit mit dem Design-Stuhl „Landi“ von Hans Coray von 1939: Der im oberen Raum als Leuchtkasten präsentierteScanned Coray“ ist Teil einer hier nicht ausgestellten Abfolge von künstlerischen Prozessen, die sehr schön Kupelwiesers aufeinander aufbauendes Arbei-ten sichtbar macht: Von dem Coray-Stuhl, der auffällig viele Löcher hat, wurde im ersten Schritt ein Fotogramm gemacht. Dann wurden – hier nicht ausgestellt – aus dem Stuhl-Schatten Aluplatten geschnitten und diese zu einem Relief gefaltet. Desweiteren hat Kupelwieser den Stuhl auf einer Drehplatte montiert und in Rotation gebracht; die dadurch provozierte Formauflösung gelangte danach durch Fotografie wieder in eine Fixiertheit. Bei dem hier als Leuchtkasten präsentierten „Scanned Coray“ wurde der Stuhl aus der Dunkelheit geholt: Das Licht wurde dort zurückgeworfen, wo der Laser auf den Stuhl traf und dann fotografiert. Nicht nur die Verwendung von Alltagsdingen, sondern auch Bezüge zu u.a. Wissenschaft, Architektur und Kunstgeschichte prägen Kupelwiesers Werk. Seine dreifarbige, durch das Greifen von Baggerschaufeln entstandene Skulptur „CRMM“ zitiert die Farbigkeit der Künstlergruppe der Nazarener; sie wurde mit Pulver beschichtet, das bei 200 Grad zum Schmelzen gebracht wurde. Der Künstler Marcel Duchamp (1887–1968) hat Kupelwieser auf vielfältige Weise beeinflusst; nicht nur durch seinen offenen, den Dadaismus vorbereitenden Kunstansatz, sondern auch mit seinen frühen, noch gegenständlichen Werken wie „Akt, eine Treppe herabsteigend“ von 1912, einem kubistischen mehrperspektivischen Bild, das die Bewegungen der Figur als ineinander übergehende Einzelbilder darstellt. In der am Stiegenabgang stufig präsentierten Fotoserie „Clockwise“, für die aus einem runden Tisch Furnier herausgefräst wurde, greift Kupelwieser den Duchamp’schen Treppenabstieg sowie den Bewegungsablauf auf – hier wird die Bewegung einer Uhr durch Tischdrehung simuliert. Das wahrnehmerische Spiel mit den Dimensionen führt Kupelwieser immer wieder auch zur Gestaltung von Rotationsobjekten (wie auch beim Coray-Stuhl). Je höher die Geschwindigkeit ist, desto mehr werden die Objekte verzerrt und entkörperlicht und finden dadurch zu einer anderen Form. In dieser Ausstellung sehen wir die Drehskulpturmerrygoroundaus poliertem Edelstahl, entstanden aus einer zylindrischen Form durch den Eingriff mit Baggerschaufeln. Licht und Spiegelungen spielen in der gesamten Raumkonzeption eine dominante Rolle und bewirken die Veränderung von Objekten und Situationen. So spiegeln sich in „merrygoround“ die dreifarbige Skulptur, der große, wie ein Kirchenfenster wirkende Leuchtkasten „NG“ mit einem C-Print von farbigen, überlappten Kunststoff-Einkaufstaschen, die Architektur des Raumes sowie die BesucherInnen. Die Skulptur selbst verändert sich durch Lichtbrechung, Spiegelung und Bewegung – und andererseits werden durch ihre gebrochene Oberfläche die sich darin spiegelnden Objekte und der Raum teils ins Chaotische verzerrt. Ähnlich funktioniert die große Wand-Drehskulptur aus poliertem Edelstahl, einem Hohlkörper, der das Bild mitwandern lässt. Auch ein kleines Spiegelobjekt („Anonym“) aus poliertem Edelstahl mit Epoxydharz wird – abhängig von unterschiedlichen Standorten der BesucherInnen – mehr oder weniger von den Farben des Leuchtkastens gefüllt und wirft diese zurück auf die Boden-Drehskulptur. Alles bedingt sich gegenseitig, verändert sich durch das räumliche Umfeld, eröffnet immer andere Perspektiven und Sehweisen – ein ausgeklügeltes Raumkonzept, das dennoch noch viele andere Bezüge eröffnen kann. Das Überformen (so der Ausstellungstitel), Weiterentwickeln, Neukodieren, der Transfer in andere „Aggregatzustände“ (H.K.) ist Kupelwiesers Prinzip. Der Kern bleibt erhalten, aber „es geht“, so sagt er, „immer weiter wie in einem sich selbst generierenden System“. Über allem schwebt ein Relief aus mit Autolack überzogenen Gummibändern – eine Wolke kann assoziiert werden, ein Architektur-Zierrat... und es eröffnen sich Reflexionen über Arbeitsprozesse, Zufall und Konzept, Experiment und Kalkül, Form und Auflösung, über kunstimmanente Probleme.

 

 

01) merrygoround 14, 2014, Edelstahl, Motor, 130 cm, ∅100 
02) NG, 2004, Leuchtkasten, C-Print auf Duratrans, 287 x 180 cm  
03) Ohne Titel, 2014, Fotogramm auf Baryt, Plexiglas, 71 x 101 x 16 cm
04) Ohne Titel, 2009, Edelstahl, Motor, ø 120 cm
05) Ohne Titel, 2013, Fotogramm, Baryt auf Leinwand, 250 x 174 cm

06) Ohne Titel, 2013, Fotogramm auf Baryt auf Alu120 x 190 cm

07) Anonym, 2013, Edelstahl, Kunststoff, 60 x 60 cm

08) Ausstellungsansicht Galerie, vorne: Scanned Coray, 2006, Leuchtkasten, C-Print auf Duratrans, 50 x 70 cm; daneben: Ohne Titel, 2013, Fotogramm, Baryt, 127 x 320 cm 

09) Ausstellungsansicht Stiege_Clockwise, 8-tlg. Fotoarbeit, je 40 x 50 cm

10–14) Ausstellungsansichten Hauptraum, dreifarbige Skulptur: CRMM, 2015, Aluminium, pulverbeschichtet,139 x 210 x 220 cm

15) Ausstellungsansicht Hauptraum_Ohne Titel, 2012, Lack auf Kunststoff, matt, 130 x 210          

16) Ausstellungsansicht Foyer_Ohne Titel, 2015, Aluminium, glasgestrahlt, ca 160 x 160 cm

Fotos: Michael Michlmayr